Robert Todd Carroll
SkepDic.com
weitere Einträge |
|
Atheismus
Atheisten sind davon überzeugt, dass Gott von den Menschen erschaffen
wurde - und nicht umgekehrt. Aus der Behauptung, dass der Mensch Gott
erschaffen oder erfunden hat, folgt allerdings, dass ein großer Teil der
Menschheit an einer Selbsttäuschung leidet. Wie erklären Atheisten den
Ursprung dieser Selbsttäuschung - und ihre Fortdauer?
Philosophen wie Thomas Hobbes und Baruch de Spinoza waren der
Auffassung, dass der Glaube an Gott seinen Ursprung in Angst und
Aberglauben hat. Sigmund Freud, Karl Marx und andere behaupteten, dass der
Trug anhalte, weil der Glaube an Gott den Wunsch nach einem schützenden
Vater und nach Unsterblichkeit befriedige, oder, weil er als
Betäubungsmittel gegen Elend und das Leiden der menschlichen Existenz
wirke.
Menschen, die an Gott glauben, sind entweder davon überzeugt, dass
Beweise für ihren Glauben existieren, oder sie denken einfach, dass es
keinen Grund gibt, nicht an Gott zu glauben. Erstere halten die Argumente
der Atheisten für albern, arglistig, irreführend, schwach, substanzlos
oder lächerlich. Letztere betrachten die Atheisten als Sturköpfe, die
nicht bereit seien, ein Risiko einzugehen, um zu einer möglichen,
erhabenen Wahrheit zu gelangen. Keine der beiden Gruppen betrachtet jedoch
ihre eigenen Argumente und Ansichten mit dem gleichen kritischen Blick,
den sie auf die Atheisten wirft.
Diesen beiden Typen von Gläubigen ist eines gemeinsam: Ihr Wunsch, an
ihre eigene Selbsttäuschung zu glauben, ist derart stark ausgeprägt,
dass sie sich einreden, bei der Verfolgung ihres Wahns absolut rational
und vernünftig zu sein, währenddessen die Atheisten in der Ablehnung
desselben Wahns irrational und unvernünftig seien. Dabei werden viele
dieser Gläubigen von einem gemeinsamen Beweggrund geleitet: Ihr Glaube
gibt Ihnen ein Gefühl der Macht und der Überlegenheit. Dieses Gefühl
führt allzu häufig dazu, dass sie jeden zugrunde richten, der sich ihnen
widersetzt. Außerdem neigen Gläubige dazu, ihren Segen über weltliches
Elend und weltliche Not auszugießen - einschließlich über jene
Missstände, die sie selbst verursacht haben. Gläubige haben die
Empfindung, dass ihnen ein esoterisches Wissen innewohnt - für einen
Atheisten hingegen, bedeutet das alles nichts weiter, als dass sich der
Betreffende auf dem absoluten Ego-Trip befindet. Das Gefühl der eigenen
Besonderheit jedoch, verleiht dem Leben des Gläubigen nicht nur die
gewisse Würze, sondern auch Sinn und Bedeutung: eine Sinnhaftigkeit, die
ihm sonst fehlen würde.
Für viele Gläubige aber, ist der Glaube an Gott einfach etwas, das
sie ihr ganzes Leben als selbstverständlich hingenommen haben. Der Glaube
verleiht ihrem Leben Sinn und Ordnung. Er verbindet sie mit einer
Gemeinschaft, gibt ihnen Vertrauen zu sich selbst und zu ihren
Überzeugungen. Ihr Glaube wird ihnen von allen Personen bestätigt, die
in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen. Wer mit Feen aufwächst, wird
später vermutlich an Feen glauben. Wer mit Gott aufwächst, wen alle
wichtigen Personen im Gottesglauben bestärken, der wird schließlich
überall Beweise erblicken für das, was in seinem Herzen bereits als
Wahrheit fest verankert ist. Die ständige Bekräftigung des
Gottesglaubens innerhalb der Gemeinde ist möglicherweise der Hauptgrund
dafür, dass er den Gläubigen so vernünftig erscheint. Ununterbrochen
bestärkt wird nämlich nicht nur der Glaube selbst, bestärkt werden auch
die Argumente zugunsten des Glaubens.<
Die Festigung des Glaubens wird vollendet durch die Autorität einiger
geachteter, intelligenter und gleichgesinnter Persönlichkeiten. Zwar wird
sich kaum jemand nur deshalb zum Glauben an Gott bekehren, weil dieser
Glaube von einem Heiligen oder einem Wissenschaftler oder einem
Literatur-Nobelpreisträger befürwortet wird - doch die Menschen fühlen
sich wohler in ihrem Glauben, wenn sie sich dabei in guter Gesellschaft
wissen.
Millionen von Kindern wachsen in einer Welt auf, die von Engeln, der
heiligen Kommunion, Gott-dem-Vater-dem-Sohn-und-dem-Heiligen Geist, Jesus,
dem Heiland und Erlöser, erfüllt ist. Dass es all diesen Dingen an Logik
und Vernunft fehlt, wird von ihnen nicht wahrgenommen. Für diese Kinder
ist es ebenso selbstverständlich, an die "Wandlung Christi" (in
Brot und Wein) zu glauben, wie an die Elektrizität. Mathematik lernen sie
genauso, wie den Katechismus. Die Absurdität dieses Nebeneinanders wird
nicht bemerkt. Für viele Leute ist es ebenso natürlich, an Feen, an
Hexen und an den Bösen Blick zu glauben, wie daran, dass Feuer heiß ist.
Dass sie davon überzeugt sind, ist jedoch völlig irrelevant für die
Frage, ob es tatsächlich Feen, Hexen oder Götter gibt.
Der Gläubige meint, dass das Leben nur einen Sinn hat, wenn es einen
Gott gibt. Warum nur ist es dann für einen Atheisten offensichtlich, dass
alles viel mehr Sinn ergibt, wenn es keinen Gott gibt? Warum erscheint es
dem Atheisten einleuchtender, wenn er das Universum betrachtet als einen
zufällig entstandenen Mechanismus, der von unpersönlichen Naturkräften
beherrscht wird?
Ein Atheist beobachtet das Universum und alles, was darüber bekannt
ist - und erkennt, dass dessen vermeintlich vollkommene Ordnung und
Gestaltung höchst unvollkommen ist. Er sieht Einzelheiten, die in ihrer
Funktion zwar wunderbar sind, deren Ausführung jedoch geradezu
lächerlich unzureichend ist. So kommt er zu dem Schluss, dass ein
allwissendes Wesens dies alles keineswegs in dieser Weise entworfen hätte.
Ein Beispiel: Das menschliche Auge, das Gehirn, und das Netz aus Nerven,
Gewebe und Neuronen - all diese Dinge, die unser Sehvermögen ausmachen,
sind zweifellos Wunder. Ein Mensch jedoch, der etwa ein elektronisches
"Auge" für einen Roboter entwerfen wollte und sich dabei an die
Gestaltung des menschlichen Auges hielte, würde einen gewaltigen Umweg
einschlagen. Niemand würde ein automatisches Auge haben wollen, das
kurzsichtig oder gar blind werden kann und vielleicht gar Korrekturlinsen,
Operationen oder ähnliches benötigt. Von einem allwissenden,
allmächtigen Wesen wäre doch zu erwarten, dass es sowohl für die
Konstruktion des Auges, als auch für den Bau des Universums einen
einfacheren und effektiveren Weg wählte. Clarence Darrow meint, dass es
genau diese Komplexität mit ihren inhärenten Strukturfehlern sei, die
das Nichtvorhandensein einer gezielten Schöpfung erkennen lasse und
außerdem zeige, dass diese Schöpfung das Ergebnis von Naturgewalten sei,
die ohne besondere Zielgerichtetheit arbeiteten. Zum Zusammenheften
einiger Papierseiten kann man natürlich eine komplizierte Klemmschraube
verwenden, doch eine weit elegantere Lösung ist allemal der Gebrauch von
Büroklammern. Die Umlaufbahnen der Planeten um unsere Sonne lassen uns
staunen - doch die Erschaffung des Asteroidengürtels wäre schon ein
seltsamer Einfall für einen allmächtigen, durch -und- durch-guten
Schöpfer.
Die typische Antwort des Gläubigen auf diese Art der Beweisführung
besteht darin, diese schlicht als unverschämt abzutun. Gott, so das
Argument, sei nicht an menschliche Begriffe der Vollkommenheit gebunden.
Was uns plump erscheint, mag Gott als elegant erscheinen. Und so weiter.
Doch wenn man diese Argumente bis zu ihrem logischen Ende weiterdenkt,
bedeutet das doch, dass man absolut gar nichts mehr über Gott aussagen
kann. Ich behaupte, dass Gott sich mindestens an dem Standard messen
lassen muss, den eine leidlich kompetente Gruppe intelligenter Menschen
hervorbringt. Wenn Gott es nicht besser kann, dann ist die Anwendung des
Begriffs "Vollkommenheit" bedeutungslos in Bezug auf dieses
Wesen.
Es gibt natürlich durchaus Dinge, die von Natur aus komplex sein
müssen, deren Komplexität notwendigerweise bestimmt wird durch die
Aufgaben, die von ihnen zu erfüllen sind. Und selbst gewaltsame
Kollisionen und Eruptionen mögen ihr Gutes haben. Auch die
Herausforderung eines Menschen durch natürliche Defekte, wie etwa
Blindheit und zerebrale Lähmung, kann etwas Positives bewirken. Der
Atheist besteht ja keineswegs darauf, dass allein ein Universum , das
einem Sechsjährigen sofort verständlich und angenehm erscheint, eines
allmächtigen Schöpfers würdig sei. Ein Tarnkappenbomber ist zum
Beispiel sehr komplex konstruiert, und das ist für sein Funktionieren
durchaus erforderlich.
Einen Entwurf jedoch unnötig zu verkomplizieren - das fordert den zu
erwartenden Ärger geradezu heraus! Wer auch immer das Programm für den
Browser, den Sie zum Betrachten dieses Aufsatzes benutzen, geschrieben hat
- wir wollen hoffen, dass er es so geschrieben hat, dass es seinen Zweck
erfüllt und dabei möglichst einfach strukturiert ist. Ein anderer
Browser erfüllt vielleicht denselben Zweck, ist dabei aber mit unnötiger
Komplexität behaftet. Ein unvoreingenommener Programmierer, der beide
Codes genau studiert, würde feststellen können, welcher von beiden
Programm-Entwicklern der kompetentere Programmierer wäre. Wir anderen
benutzen einfach die Programme und bemerken vielleicht noch nicht einmal
einen Unterschied. Fachleute aber, würden zweifellos das einfacher
strukturierte Programm als den besseren Entwurf einschätzen.
Die Vorstellung von einem herrlichen Wesen, das zwar für alles
verantwortlich ist, aber eine Art kosmisches Versteckspiel mit uns treibt,
führt den Atheisten zu der Frage: Warum sollte ein Wesen wie Gott sich so
töricht verhalten? Das ganze Ideensystem aus Schöpfung, Geboten,
Gottesdienst, Belohnung und Strafe, erklärt überhaupt nichts. Viele
Kinder müssen die Antwort auf die Frage "Warum hat Gott mich
erschaffen?" auswendig lernen. Die Antwort lautet: "Damit ich
ihn erkenne, liebe und ehre, ihm diene und ihm folge." Das mag sich
für ein Kind vielleicht nicht übel anhören: Es hat also eine feierliche,
geheimnisvolle Pflicht zu erfüllen gegenüber einem Wesen, das sich und
seine Wünsche nur zu besonderen Anlässen offenbart - und selbst dann nur
auserwählten Personen. Wie viele Kinder hoffen wohl beim Memorieren des
Katechismus, dass ausgerechnet sie von Gott für eine göttliche
Offenbarung ausersehen würden?
Wenn Atheisten von Menschen hören, die Visionen hatten, oder glauben,
göttliche Stimmen gehört zu haben, oder magische Taten oder Wunder
vollbringen, dann fragen sie zumeist mit David Hume: Was ist
wahrscheinlicher - dass Gott tatsächlich zu dieser Person gesprochen hat
oder dass diese Person sich irrt oder andere gar betrügt? Was ist
wahrscheinlicher - dass die Naturgesetze von besonderen Kräften außer
Kraft gesetzt wurden, oder, dass Illusion, Täuschung, Betrug, oder Irrtum
vorliegen? Hume behauptet, dass ein vernunftbegabter Mensch - die
Beibehaltung der wesentlichen Prinzipien der Vernunft vorausgesetzt - an
göttliche Visionen, Stimmen oder Wunder auf der Basis von Zeugenaussagen,
ja selbst aus erster Hand, unmöglich glauben kann, ohne eben diese
Prinzipien aufzugeben. Atheisten halten diesen Gedankengang Humes für
feinsinnig und zutreffend.
Atheisten meinen, dass Gott nicht nur ein einziges Mal, sondern bereits
viele Male in vielen verschiedenen Kulturen erfunden wurdei. Dass diese
Erfindungen einander ähneln, ist schlicht darauf zurückzuführen, dass
die Natur der Menschen und ihre Erfahrungen einander ähneln: Geburt, Sex,
Leid und Tod gibt es bekanntlich überall. In Gottesbildnissen und
Gotteserfahrungen, und auch in der nützlichen Funktion solcher
Erfindungen, spiegeln sich allgemein menschliche Erfahrungen, wie etwa das
Bedürfnis nach Schutz vor den Naturgewalten und vor Feinden, sowie die
Angst vor dem eigenen Tod.
Es ist andererseits aber durchaus möglich, dass die Ähnlichkeiten in
den religiösen Erfahrungen und Glaubensvorstellungen unterschiedlicher
Kulturen der neurophysiologischen Beschaffenheit des Menschen an sich
entspringen. Michael Persinger ist es zum Beispiel gelungen, die
Empfindung einer Geistererscheinung, das Gefühl, den Körper zu verlassen,
und andere Gefühle, die im Mystizismus eine Rolle spielen, durch die
elektrische Stimulierung des Gehirns hervorzurufen. Die Einnahme von
Drogen, wie LSD und Meskalin, versetzte viele Menschen in die Lage,
religiöse Erfahrungen nachzuempfinden. Es ist vermutlich kein Zufall,
dass viele primitive Religionen den Gebrauch von Drogen, exzessive Tänze,
Gesänge, Fasten und andere Wege, das Bewusstsein neurochemisch zu
verändern, praktizierten, um mit der Geisterwelt Kontakt aufzunehmen.
Halluzinationen und Träume wurden oftmals als Zugang zum Göttlichen
betrachtet. Was diese Erfahrungen in Wahrheit jedoch miteinander verbindet,
ist möglicherweise eben nicht ein objektiv erlebter Gott, sondern
vielmehr eine subjektive Wahrnehmung, die auf immer dieselbe Art und Weise
in den betreffenden Hirnregionen ausgelöst wird - und deshalb auch zu
ähnlichen Erlebnissen und Gefühlen führt.
Übersetzung: Larissa Wagner MorgenWelt, Hamburg,
Germany |
|