Robert Todd Carroll
SkepDic.com
weitere Einträge |
|
Aromatherapie
Aromatherapie ist ein Begriff, der 1928 von dem französischen Chemiker
René Maurice Gattefossé geprägt wurde, um die Verwendung so genannter
essenzieller Öle von Pflanzen, Blumen, Wurzeln oder Samen in der
Heilkunst zu beschreiben. Die Bezeichnung ist etwas irreführend, da das
Aroma eines Öls, sei es natürlich oder synthetisch, im Allgemeinen
selber nicht therapeutisch wirksam ist. Aromen werden verwendet, um die
Öle zu identifizieren und ihren Reinheitsgrad zu bestimmen, aber nicht,
um direkt eine Heilung zu bewirken.
Es ist die "Essenz" des Öls - seine chemischen Eigenschaften
- die ihm seinen heilenden Wert geben, wie auch immer dieser beschaffen
sein mag. Darüber hinaus werden Dämpfe in einigen - nicht allen - Arten
der Aromatherapie gebraucht. In den meisten Fällen wird das Öl in die
Haut eingerieben oder in Tee und anderen Getränken eingenommen. Einige
Aromatherapeuten halten sogar das Kochen mit Kräutern für eine Art von
Aromatherapie.
Die heilende Kraft der essenziellen Öle ist der Hauptgrund für die
Beliebtheit der Aromatherapie und außerdem das Hauptproblem für den
Skeptiker. Es gibt nur sehr wenige Beweise für all die Behauptungen der
Aromatherapeuten bezüglich der verschiedenen heilenden Eigenschaften von
Ölen. Die meisten Belege für die Heilkraft von Substanzen wie etwa
Teebaumöl hat die Form von Anekdoten:
Vor einigen Jahren, im Flugzeug auf dem Weg von Europa nach Indien,
fing mein Zeigefinger an, schmerzhaft zu pulsieren. Ein Rosendorn hatte
sich dort zwei Tage zuvor festgesetzt, als ich meine Rosen geschnitten
hatte. Die Wunde war dabei, sich zu entzünden. Sofort rieb ich
unverdünntes Teebaumöl auf den Finger. Bei meiner Ankunft in Bangalore
war die Schwellung beinahe abgeklungen, und das Pulsieren hatte aufgehört.
(Daniele Ryman, Aromatherapy, Piatkus Books, 1992).
Diese Art von Post-Hoc-Begründung ist überall in der "alternativen"
Medizin und ihrer Literatur anzutreffen. Überzeugender wären sicherlich
einige Kontrollstudien. Finden sich Hinweise auf andere Aromatherapeuten,
dann sehen diese gewöhnlich so aus:
"Marguerite Maury verschrieb Rose für Frigidität und schrieb
ihr aphrodisiakische Eigenschaften zu. Außerdem hielt sie Rose für ein
hervorragendes Stärkungsmittel für Frauen, die an Depressionen litten.
"
(Daniele Ryman)
dieser Art werden niemals mit Skepsis oder auch nur Neugierde
betrachtet, wie die Beweise für sie aussehen könnten. Sie werden einfach
weitergegeben, als handele es sich um Glaubensartikel.
Neben persönlicher Erfahrung scheinen Aromatherapeuten an Forschung
nur interessiert zu sein, wenn es darum geht, was andere Aromatherapeuten
über Pflanzen oder Öle gesagt oder geschrieben haben. Die Praktiker und
Verkäufer von aromatherapeutischen Produkten wirken gänzlich
desinteressiert an einer wissenschaftlicher Überprüfung ihrer
Behauptungen, von denen viele empirischer Natur sind und getestet werden
könnten.
Natürlich gibt es viele Aromatherapeuten, die nicht überprüfbare
Behauptungen aufstellen, so etwa über die Auswirkung bestimmter Öle auf
den "Astralleib", das Gleichgewicht der Chakren, die
Wiederherstellung der harmonischen Energieströme oder ihren Beitrag zum
spirituellen Wachstum. Behauptungen wie diese sind grundsätzlich nicht
überprüfbar. Sie bilden Teil der New-Age-Mythologie und sind nicht
wirklich Gegenstand einer sinnvollen Diskussion oder Debatte.
Wenn Aromatherapeuten beruflich über empirische Themen diskutieren,
geht es meist um Dinge wie die Überlegenheit natürlicher Öle gegenüber
synthetischen, aber auch hier sucht man vergebens nach Verweisen auf
wissenschaftlichen Studien. Die Art, wie Daniele Ryman, eine Verteidigerin
der natürlichen Öle, das Thema "Lavendel" behandelt, ist
typisch.
In dem oben zitierten Buch gibt sie botanische und historische
Informationen über die Pflanze, darunter auch die Behauptung eines
Botaniker aus dem 16. Jahrhundert, Matthiole, Lavendel sei ein Heilmittel,
welches Epilepsie, Schlaganfälle und psychische Probleme beheben könne.
Ryman gibt an, die Hauptbestandteile des Lavendel seien Alkohole wie
Borneol, Geraniol und Linalool; Ester (Alkohol-Carbonsäure-Verbindungen)
wie Geranyl und Linalyl; Terpene wie etwa Pinen und Limonen. Weiterhin
enthält Lavendel einen hohen Anteil an Phenol, einem starken Antiseptikum
und Antibiotikum.
Ryman teilt außerdem mit, dass, während viele essenzielle Öle sehr
giftig seien, es sich bei Lavendel um eines der ungiftigsten überhaupt
handele; danach informiert sie darüber, dass "Lavendel das Öl ist,
das am häufigsten mit Verbrennungen und Hautverletzungen in Verbindung
gebracht wird". Es sei "sehr wirksam bei der Behandlung von
Zystitis, Vaginitis, Leucorrhea"; als Kräutertee außerdem "gut
als morgendliches Stärkungsmittel für Genesende, als Verdauungsmittel
nach Mahlzeiten, gegen Rheuma und bei den ersten Anzeichen einer
Erkältung oder Grippe."
Gegen Krampfadern rät Ryman zu einer "Massage der Beine mit einem
Öl, das aus 3 Tropfen Zypressenöl, jeweils 2 Tropfen Lavendel- und
Zitronenöl, und einer Unze von Sojaöl" besteht (S. 143). Sie gibt
keinen Anhaltspunkt dafür, dass irgendjemand schon einmal irgendwo
irgendwelche Kontrollstudien mit Lavendel durchgeführt hat, um einige
dieser Behauptungen zu bestätigen.
Zwar stimmt es, dass Ausdrücke wie 'sehr wirksam' oder 'gut für/gegen'
nicht sehr präzise sind, aber sie sind auch keine kompletten Nebelkerzen
wie 'hilft bei' (was sie etwa über Lavendel als Badezusatz gegen
Zellulitis sagt). Und 'in Verbindung mit' sagt nicht direkt, dass Lavender
gegen Verbrennungen helfen kann.
Trotzdem denke ich, man kann diese Behauptungen exakt genug eingrenzen,
um sie zu testen; ich zweifele allerdings daran, dass Ryman oder andere
Aromatherapeuten auch nur im Geringsten an solchen Tests interessiert
wären. Aus unbekanntem Grund schreibt Ryman in ihrem Kapitel über
Lavendel nicht viel über das Öl als Mittel zur Stressreduzierung. In
einem Abschnitt über "Schlaflosigkeit" gibt sie jedoch an,
"Lavendel [sei] ein sanftes Schlafmittel, empfohlen bei geistiger und
körperlicher Beanspruchung".
Ryman erwähnt allerdings nicht die Studie, die die Wirkungen von
Aromatherapie (mit Lavendel), Massage und strikter Ruhe bei
Intensivpatienten verglich. Beidieser Studie kamen die Forscher nämlich
zu dem Schluss, dass Ruhe am besten sei (C. Dunn et al., "Sensing an
improvement: an experimental study to evaluate the use of aromatherapy,
massage and periods of rest in an intensive care unit," Journal of
Advanced Nursing, 21, 1995, pp 34-40).
Allerdings würde ich nicht so weit gehen, die Aromatherapie in Bausch
und Bogen abzulehnen. Wenn ich erkältet bin und die Nase zu ist, nehme
ich Vick VapoRub, eine Mischung aus Kampfer, Menthol und Eukalyptusöl.
Genau genommen bin ich vermutlich ein praktizierender Aromatherapeut.
Wenn ich mir jedoch das anschaue, was die selbsternannten
Aromatherapeuten alles behaupten, dann sehe ich mich zu dem Schluss
gezwungen, dass es sich bei Aromatherapie zum größten Teil um eine
pseudowissenschaftliche "alternative" Medizin handelt - eine
Mischung aus Volksweisheit, Versuch und Irrtum, Anekdoten,
Erfahrungsberichten, New Age-Spiritualismus und purer Träumerei. Was den
Anhängern der Aromatherapie fehlt, ist die Fähigkeit, den Geruch von
Unsinn zu erkennen.
Anmerkung des Übersetzers:
Marguerite Maury, die Große Alte Dame der Aromatherapie, ging davon
aus, dass mit dem jeweiligen Aroma einer Pflanze auch deren "Seele"
in den menschlichen Körper mit eingehe. Ein anderer Name für
Aromatherapie ist "Osmotherapie". Es gibt Querverbindungen zu
Aura-Soma und "Energiemeridianen", wie sie etwa aus der Lehre
des chi bekannt sind. Etwa 80 Prozent der handelsüblichen Öle werden
übrigens synthetisch hergestellt. Colin Goldner schreibt in dem Buch
"Die Psycho-Szene" (Alibri, 2000):
"[...] für die behaupteten psychotherapeutischen Heileffekte
fehlt jeder Hinweis. [...] Die Vorstellungen einer 'Seele' oder eines 'höheren
Wesens' der Pflanzen [...] sind völlig willkürlich und ebenfalls durch
nichts belegt. [...] Die ausdrücklichen therapeutischen Effekte indes,
die den Harzen und Aromastoffen zugeschrieben werden, gehören ins Reich
des Mythos."
Für mich spiegelt die Vorstellung der Heilkraft der "essenziellen
Öle" unter anderem auch die Sehnsucht nach einem
animistisch-spirituellen Weltbild wider, kombiniert mit der fehlgeleiteten
Vorstellung, die Natur sei ausschließlich für den Menschen da.
Übersetzung: Tobias Budke
MorgenWelt, Hamburg,
Germany
|
|